Geschlechtergerechte Sprache…??

Werte Blogleserinnen, ich muss etwas gestehen. Vielleicht ist es euch schon aufgefallen, und ihr habt nie etwas gesagt… Nein, ich meine nicht die trockene Nagelhaut im Winter auf den Nailart-Bildern.

Birgit Kelle Gender Gaga

© Adeo Verlag, Birgit Kelle

Ich meine das völlige Fehlen von queer-feministischer Szenesprache, meine Ignoranz gegenüber dem Binnen-I, den Sternchen oder den Unterstrichen für die *innen, kurzum, mein Verweigern der genderkonformen Ausdrucksweise. Ich mache uns Frauen quasi unsichtbar, weil ich nicht hektisch auf der Suche nach Wörtern bin, die ich noch schnell mit einem *innen versehen kann. Ich überlege nicht, ob ich intersexuelle Personen möglicherweise übergehe, indem ich von „Männern und Frauen“ spreche, und keinen Spielraum für ein mögliches Dazwischen lasse.

Versteht mich nicht falsch, ich unterliege keinem Zwang zum Ungehorsam (ätschi-bätsch, schreibt nur alle brav eure *innen hintendran, ich tue es ni-hicht). Ich liebe die deutsche Sprache, ich brauche sie, ich lebe davon, Sätze zu schmieden. Und wenn ich den Regeln der neuen Sprachpolizei folgen will, muss ich bei jedem Satz meiner Muttersprache (dass diesen Begriff noch keiner abgeschafft hat, muss doch Elternsprache, besser noch, Elter*innensprache heißen) überlegen, ob stinknormale Formulierungen aus dem täglichen Sprachgebrauch jemanden diskriminieren oder verletzen können. Es gibt nämlich gar nicht so wenig Menschen, deren Lebensinhalt darin besteht, zu überlegen, wodurch sie gerade wieder diskriminiert wurden, und dies lautstark in den sozialen Medien kundtun. Zum Beispiel las ich auf einem Blog über eine intersexuelle Person, die nach außen hin komplett weiblich wirkt. Sie fühlt sich allerdings weder weiblich noch männlich, und bemängelt das Vorhandensein von Toiletten für diese Personen. Hallo, es gibt sie: Toiletten für „Menschen mit besonderen Bedürfnissen“. Würde besagte Person das lesen, würde ein Aufschrei folgen: „Bist du deppert, ich bin doch nicht behindert!“ Die Behindertendiskussion folgt weiter unten im Text.

Erschwerend kommt hinzu, dass es keinerlei gültige Statuten gibt, was für die LGBTQ-Community nun beleidigend ist oder nicht, denn Diskriminierung empfindet jeder Mensch anders. Mit Frauen und sonstigen Randgruppen ist es ähnlich. Also ich fühle mich jedenfalls nicht übergangen, wenn jemand nicht jedem Substantiv ein „und *-Innen“ nachbrüllt.

Übrigens war das mit den Elter*innen nicht einfach von mir böswillig aus dem Ärmel geschüttelt, die Chefin der österr. Partei „die Grünen“, Dr. Eva Glawischnig, hatte sich in einem Interview solchermaßen „vergendert“, indem sie von „Elterinnen und Eltern“ sprach.

Die Differenz zwischen den Löhnen von Mann und Frau ist nirgends so groß wie in Österreich und Deutschland. Laut eines Artikels der „Salzburger Nachrichten“ wird die durchschnittliche Lohndifferenz von 22,9 % in Österreich europaweit nur mehr von Estland (28,3 %) getoppt. Das nenne ich mal ein reales Problem! Und wie packen wir es an? Indem wir die österreichische Bundeshymne umschreiben lassen. Das war 2012. Also wirklich, seit „Heimat bist du großer Töchter/Söhne“ gehaspelt wird, fühle ich mich als Frau einfach sichtbarer und in meiner Existenz bestätigt.

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Nachdem ich gerade zu einem Rundumschlag zur Verteidigung der deutschen Sprache ausgeholt habe, bleibt auch eine weitere Gruppe nicht verschont: Behinderte. In korrektem Neudeutsch: Menschen mit besonderen Bedürfnissen. Viele Menschen, dazu gehört auch mein Mann, fühlen sich allerdings durch diese nette Titulierung noch behinderter, als sie es ohnehin schon sind. Mein Mann sitzt im Rollstuhl, ergo, seine Beine behindern ihn am Gehen. Seine besonderen Bedürfnisse bestehen darin, ein Lokal oder ein Geschäft berollen zu können, ohne dass dafür 12 Stufen planiert oder der Türstock ausgehebelt werden müssen. Außerdem ist es ihm ein Bedürfnis, seine Bedürfnisse an einem dafür geeigneten Ort erledigen zu können (=Behinderten-WC mit einem fest verschraubten Haltegriff und Platz, um sich aus dem Rolli zu hieven). Das war es dann aber schon mit den besonderen Bedürfnissen. Nein, halt: Es wäre genial, wenn das besuchte Lokal über Tische verfügt, zu denen ein Rollifahrer ranfahren kann. Mit einem fetten Tischfuß in der Mitte geht das z.B. nämlich nicht. Aber machen diese Dinge meinen Mann zu einer Person mit „besonderen Bedürfnissen“? Manche Dinge im Alltag BEHINDERN ihn, das trifft es wohl eher.

Anstatt zu überlegen, wie man den Terminus „behindert“ am besten vermeidet, sollte man stattdessen darauf achten, wo man ihn denn verwendet. Wenn man nämlich: „Bist du behindert, du Spast“ zu einem sagt, der einen in der U-Bahn anrempelt und den Kaffee über die Hose kippt, wird man nicht zu einem besseren Menschen, wenn man einem tatsächlich Behinderten seine Behinderung abspricht und zu „besonderen Bedürfnissen“ degradiert.

Ich würde mir ein bisschen Entspannung im Sprachgebrauch wünschen. Dieser zwanghafte Versuch, jedem Substantiv ein rosa Mascherl umzubinden, macht mich und meinesgleichen nicht sichtbarer. Die Sprache verändert sich, es kommen neue Begriffe hinzu, das ist der Lauf der Dinge und nicht per se schlecht. Aber muss die Korrektheit so weit gehen, dass man klassische Kinderbücher wie Pippi Langstrumpf umschreibt? Besonders schlimm fand ich die Debatte um ein Pixi-Kinderbuch (Pixi Wissen Politik und Demokratie). Der Aufschrei dazu ist zwar nicht mehr neu, passt aber gut zu dem, was ich zu sagen versuche. Auf der Tafel zur Wahl des Klassensprechers stehen im Pixi-Buch die Namen Max, Nadine und Bruno. Eine Vertreterin der Grün-Alternativen Liste bezeichnete die Tatsache, dass kein ausländischer Name vorkommt, als „skandalösen Fall rassistischer Ausgrenzung“. Noch heftiger: Das Pixi-Familienbild, bestehend aus Vater, Mutter und 2 Kindern. Kerstin Artus von der Partei Die Linke kritisiert, dass Kindern vermittelt wird, dass eine „echte“ Familie so auszusehen hat, und nicht ein lesbisches Paar oder eine Alleinerzieherin abgebildet wird. Der Text wird als „frauenfeindliches Machwerk männlicher Dominanz“ betrachtet (Grün-Alternative Liste).

Wenn ich als Frau über so wenig Bewusstsein über meine Weiblichkeit verfüge, dass ich meine Existenz von solchen Faktoren abhängig mache, läuft doch irgendetwas gewaltig schief! Aber warum packt man nicht das Grundübel an der Wurzel und demonstriert für Lohngleichheit, anstatt gegen Bundeshymnen? Wenn eine Frau im Berufsleben ihre Meinung sagt, die mit der männlichen nicht konform geht, dann „hat sie wohl ihre Tage“. Solche Ansichten gehören abgestellt, aber das geht nicht mit einem gebrüllten „und *-Innen!*, das Frauenbelange ins Lächerliche zieht!

So, jetzt gehe ich mich abreagieren und lackiere meine Nägel. Und *-innen! Lasst mir doch bitte eure Meinung da, wie ihr über dieses Thema denkt. Auch, wenn sie nicht der allgemeingültigen Ansicht der Korrektness entspricht. Auch, falls mich wer für eine IdiotIN hält (Schimpfwörter werden eigentlich kaum gegendert, warum eigentlich?).

Habt ein schönes Wochenende!

 

 

11 Gedanken zu “Geschlechtergerechte Sprache…??

  1. Oha! Ich musste gerade mehrfach herrlich schmunzeln!
    Grandioser Beitrag!

    Ich sehe das, als „Person*in mit besonderen Bedürfnissen“
    [also wenn schon, dann ganz korrekt, ’ne? Doppelte Beachtung bitte, behindert UND weiblich, leider minimalst-pigmentiert -warf gerade der Schwefellord ein, als ich kalkweiß schrieb-, sonst hätte ich ein Trio, oder? ;)]
    auch ziemlich übertrieben an jeder Stelle und finde Diskussionen wie um die Pixi-Bücher so dermaßen unnötig… Man kann trotz der Vorgabe Barbie und Ken seinem Kind trotzdem beibringen, dass es auch Ken&Ken und Barbie&Barbie [und manchmal auch Ken&Ken&Barbie…das führt zu weit, oder?] gibt. Wo ist das Problem?
    Sich an einzelnen Punkten aufzuhängen finde ich übertrieben, was ändert ein geändertes Kinderbuch, wenn die dazugehörigen Elter*innen sich gedanklich nicht frei bewegen?
    Das Kind einer einseitigten Person*in wird nicht akzeptabler mit einem Kinderbuch, sondern durch Erziehung.
    [Die ja größtenteils durch Frauen stattfindet…wodurch sich die Frage stellt, wie die ganzen Männer an ihr Weltbild kommen…da ist doch was faul im Staate Dänemark*…*oder ähnliche andere Bevölkerungen, Dänemark stellt hier nur ein Beispiel dar und ist das Zitat eines britischen Literaten ;)]

    Völlig unkorrekt und trotzdem für die Frauen

    die Nebo

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  2. Was für ein geiler Text 😀 Sehr gut auf den Punkt gebracht und ich muss zugeben, dass ich mir in Bezug auf das Bloggen oder meine Arbeit als Texterin darüber keine Gedanken mache – ehrlich gesagt hat sich auch noch nie ein Kunde beschwert, dass ich nicht so genau auf Männlein und Weiblein gezielt habe – hat scheinbar immer so gepasst^^

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    • Danke, danke! Ich freu mich total, wenn etwas, was mir auf der Seele brennt, gut ankommt. Bis dato hat sich auch bei mir noch kein Kunde beschwert, aber ich habe schon gesehen, dass meine Arbeit vor der Veröffentlichung „zwangsgegendert“ wurde… Liebe Grüße aus dem sonnigen Tirol!

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  3. Pingback: Sonnenuntergänge März - Habutschu!

  4. Danke für diesen Beitrag – großartig geschrieben!

    Diese ganzen Verrenkungen der deutschen Sprache finde ich einfach nur lächerlich… gekünstelt, umständlich und affig, und wie du schon sagst – an den eigentlichen Problem verändert sich dadurch ohnehin nada, niente, nüscht.
    Wenn ich mir in der Entfaltung meiner selbst auf den Schlips resp. Rockzipfel getreten fühle, nur weil eine Software es wagt, mich pragmatisch als „Benutzer“ zu bezeichnen und damit meine weiblichen Bedürfnisse eiskalt machistisch verleugnet, herrje… dann habe ich definitiv ein(e) Problem*in, aber keine(s), was jemand anders durch seinen Sprachgebrauch lösen könnte.

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    • Vielen herzlichen Dank für deinen Kommentar, liebe Anne, der trifft haargenau den Nagel (die Nägelin, harrharr) auf den Kopf. Es tut so gut zu wissen, dass es noch ein paar *innen gibt, die diese Meinung teilen… Liebe Grüße aus Tirol

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